Gastbeitrag von Paul:
Irgendwann zwischen 3 und 4 Uhr morgens, ich stehe an der 3 VP, Appetit habe ich kaum, es ist kalt, finstere Nacht und es beginnt zu regnen. Dazu frischt der Wind unangenehm auf. Gefühlt ist meine Laune, als auch meine Motivation so hoch wie die gefühlten Temperaturen. Wie bin ich nur hier hingekommen und was hatte mich nochmal dazu bewogen an diesem Mist, äh Abenteuer teilzunehmen?
Wahrscheinlich fing alles damit an, dass ich vor knapp einem Jahr eine Anzeige zum Stubai Ultratrail gelesen habe. Da hieß es „von der Stadt ins ewige Eis“ oder eben etwas moderner „urban2galcier“, ein Konzept welches ich von Anfang an spannend fand. Das klang nach Abenteuer und Herausforderung. Mein Interesse war geweckt. In rohen Daten heißt das eine Strecke von 63 km mit ca. 5000 hm zu überwinden, ausgehend von Innsbruck auf 574 m hinauf zur Jochdohle auf knapp 3150 m.
Mit diesem Ziel vor Augen machte ich mich Freitagmorgens auf den Weg Richtung Neustift im Stubaital, wo ich pünktlich um 12 meine Startunterlagen empfing. Danach ging es direkt zur Pension, um den Nachmittag nochmal ordentlich zu schlafen. Was sonst mittags so mühelos gelingt, wollte diesmal nicht recht klappen, also stand ich am frühen Abend etwas zerknirscht wieder auf, denn so langsam stand das Briefing an. Durchaus spannend, denn das Wetter hatte die ganze Woche über etwas verrückt gespielt und es war keineswegs sicher, ob die Strecke überhaupt wie geplant laufbar sein würde. Nachdem bereits ein unverhoffter Wintereinbruch im Vorfeld des IATF eine Streckenänderung nach sich zog, wollte ich das eigentlich nicht noch ein zweites Mal in so kurzer Zeit erleben. Ich fand mich also pünktlich mit voller Ausrüstung zu Begrüßung und Briefing ein. Zum Glück konnte Entwarnung gegeben werden, denn die Wetteraussichten hatten sich ausreichend gebessert, obgleich man sich vorbehielt, das Ziel zu gegebener Zeit nach unten zu verlegen. Also leichtes Aufatmen vorerst. Da es sich nicht mehr lohnt noch einmal zu schlafen, hieß es nun warten, denn um 11 Uhr fuhren die Shuttlebusse zum Start in Innsbruck. Dort angekommen, hieß es abermals warten, denn bis zum Start war noch eine gute Stunde Zeit. Es blieb also genug Zeit seine Dropbags abzugeben und den Weg in die Startaufstellung zu nehmen. Vorherige Kontrolle der Pflichtausrüstung inklusive versteht sich.
Nachts um 1 Uhr war es dann endlich soweit, erst „Highway to Hell“ und im Anschluss der Startschuss. So ging es vom Landestheater aus in rasantem Tempo durch die nächtliche Innsbrucker Innenstadt, vorbei am Goldenen Dachl und einigen verdutzten Passanten. Einige feuerten uns an, andere trauten wahrscheinlich ihren Augen nicht. Nach wenigen Kilometern tauchten die Teilnehmer ab in die Sillschlucht am Fuße des Bergisel. Dieser erste Trail war mir noch gut vom IATF in Erinnerung geblieben. Es war dunkel, eng, glitschig und entsprechend war überholen unmöglich. Gut, dass ich etwas vorgeprescht war und so frei laufen konnte. Ohne größere Anstrengung folgte ich den beiden Lichter vor mir, leider auch als diese über eine Brücke liefen und den Berg ein Stück hinauf. Schnell merkten wir allerdings, dass keine Markierungen mehr zu sehen waren, also kurz stopp, orientieren und wieder zurück. Leider war damit das freie Laufen vorerst vorbei, denn jetzt hieß es in einem großen Pulk im Gänselauf den Trail entlang. So ging es im Wesentlichen bis zur 1.VP, breitere Stücke waren eher die Ausnahme.
Das folgende Stück bis zum 2.VP schlängelte sich dann wieder endlos bis Telfes. Auch in diesem Stück laufe ich in einer größeren Gruppe, wodurch das Tempo angenehm moderat bleibt. Übrigens ein sehr flowiger Trail, der auf einer kurzen Runde wohl richtig zum ballern einladen würde. Unmerklich haben wir zu diesem Zeitpunkt bereits gut 500 hm eingesammelt. Nach einer kurzen Stärkung geht es sogleich in den ersten richtigen Anstieg. Es wird zunehmend steiler und das Wetter passend dazu schlechter. Die Dunkelheit drückt ein wenig aufs Gemüt und die Gedanken an ein warmes wohliges Bett beginnen langsam überhand zu nehmen. Dazu kommt auch noch, dass ich im besten Fall nur solide vorankomme. Körper und Geist scheinen sich einig zu sein und wollen nicht mehr so recht. Eine Situation, der ich mich so noch nie stellen musste.
Am 3.VP auf der Schlicker Alm ist meine Laune dann am Tiefpunkt. Bei einsetzendem Regen, ist die heiße Brühe mein einziger Hoffnungsschimmer, doch nach einer kleineren Pause entschließe ich mich den weiteren Weg in Angriff zu nehmen. Auch wenn die Alternativen zu diesem Zeitpunkt durchaus verlockend waren, so habe ich mich doch zu lange auf diesen Lauf gefreut, um am Ende nicht alles zu geben. Außerdem müsste bald der Morgen aufziehen und damit ist die Hoffnung auf besseres Wetter und ein paar lohnende Ausblicke gegeben. Der Weg führt nun weiter Richtung Sennjoch und von da aus hinüber zur Starkenburger Hütte. In diesem hochalpinen Gelände ist höchste Konzentration gefragt, denn Fehltritte können üble Folgen haben. An der Starkenburger Hütte angekommen, ist es bereits hell, perfekt um in den einzigen langen Downhill des Tages anzugehen. Auch hier machen es die nassen Bedingungen nicht einfach und so ist es kein Wunder, dass es mich gleich zweimal von den Beinen holt. Glücklicherweise geht das ganze glimpflich ab und ich kann unbeschadet weiterlaufen. Allerdings bin ich gewarnt und da die Beine schon erste Zeichen von Ermüdung senden, drossle ich mein Tempo deutlich, um sicher nach Neustift hinunter zu kommen.
Nach neuerlicher Stärkung geht es ab jetzt ca. 15-20 km durch das wunderschöne Stubaital. Die Strecke bleibt abwechslungsreich, es sind immer wieder tolle Trails eingebunden und auch der ein oder andere kurze giftige Anstieg versteckt sich in dem tendenziell flach ansteigenden Teilstück bis zur Mutterbergalm. Ein besonderes Highlight auf diesem Stück ist der Wilde Wasser Weg, der an einem beeindruckendem Wasserfall vorbeiführt. Das einzige mal bis jetzt, das ich während eines Wettbewerbes übrigens mein Handy zücke und ein Foto mache. Solche landschaftlichen Schönheiten sind auch dringend nötig, denn in einen stetigen Lauffluss komme ich leider nicht mehr. Gehpassagen sind selbst bei verhältnismäßig leichten Anstiegen nicht mehr zu verhindern. Aber zumindest bin ich jetzt im Geist wieder fit und habe das Ziel fest vor Augen und so gibt es beim ärztlichen Checkpoint an der Mutterbergalm auch keine Probleme. Hier habe ich ein alkoholfreies Weizen hinterlegt, welches ich in meine Softflask umfülle. Leider nur halb so genial, wie ich mir das gedacht habe, denn die nächste halbe Stunde bekomme ich nichts als Schaum aus dem Ding heraus. Frisch gestärkt geht es so in den finalen Anstieg, gut 1400 hm sind noch zu bewältigen.
Langsam und stetig heißt nun das Motto. Das sich um mich herum seit langer Zeit immer wieder die gleichen Läufer tummeln, nehme ich dabei als gutes Zeichen, zeigt es doch, das ich immer noch einigermaßen solide vorankomme, auch wenn das subjektive Gefühl etwas anderes sagt. Um 12 Uhr rum gelange ich schließlich zur Dresdner Hütte, dem letzten richtigen VP. Hier bekommen wir die Info, dass man bis 13 Uhr den Eisgrat erreicht haben muss, um noch auf der Jochdohle finishen zu können. Das Wetter soll sich zuziehen, Schnee und Nebel werden erwartet. Damit heißt es dem geschundenen Körper noch einmal alles abverlangen. Obwohl nicht mehr viel im Tank drin ist, beiße ich noch einmal auf die Zähne und erreiche 10 Minuten vor der Deadline den Eisgrat. Zur Belohnung darf ich mich auch noch den finalen Anstieg über das Schneefeld hinaufquälen. Schon seltsam manchmal, da nimmt man nochmal alle Kräfte zusammen, kämpft sich den schier endlosen Berg hinauf, nur um sich dann nochmal 200 hm im Schneckentempo hinaufquälen zu dürfen. Allerdings wollte ich an diesem Tag auch das erste Mal eine Höhe von 3000 m aus eigener Kraft erreichen und dieses persönliche Ziel, gepaart mit dem besonderen Zieleinlauf, lassen mich weitermachen. Jeder Schritt tut jetzt weh und das leichte Abrutschen im Schnee macht die Sache nicht einfacher. Dennoch erreiche ich nach nunmehr 12:23 h das Ziel und finde sogar noch die Kraft für eine Art Zielsprint, nur um hinter der Ziellinie auf meine Knie niederzusinken. So findet mein bis dato härtester Lauf einen würdigen Abschluss und ich kann sagen, dass ich selten bei einem Ziellauf so happy und auch ein bisschen Stolz war.
Ein wirklich tolles Event, das sich die nächsten Jahre sicher im vollen Trailrunning-Kalender behaupten und etablieren wird.
Kommentar schreiben