Ultratrail Lago d´Orta

Gastbeitrag von Paul:

Der Ultratrail Lago d´Orta, kurz UTLO, findet jedes Jahr Ende Oktober in Omegna an den Ufern des Lago d´Orto im Piemont in Italien statt. Dieses Jahr wurden fünf verschiedene Distanzen angeboten, welche sich von 17 km bis 120 km erstreckten. Da ich selbst dieses Jahr gern meinen ersten 100er machen wollte und es beim Eiger Ultratrail aufgrund des Wetters nicht geklappt hatte, entschied ich mich für die 120er Strecke, auf der es ebenso 7300 hm zu überwinden galt. Klingt ja erstmal machbar, wie es mir allerdings wirklich erging, versuche ich mal in den kommenden Zeilen ein wenig zu skizzieren. 

Angereist waren wir bereits zwei Tage vorher, sodass wir noch einen Tag entspannt am nahegelegenen Lago Maggiore verbringen konnten. Eine tolle Gegend, die dem ebenso bekannten Lago di Garda in nichts nachsteht. Der Wettkampf selbst sollte am darauffolgenden Tag starten. Kleiner Haken an der Sache, der Start war 23 Uhr. Daher war möglichst langes Schlafen angesagt und überhaupt ein längerer Mittagsschlaf, der jedoch mehr einer Mittags(un)ruhe glich. 

Ultratrail Lago d´Orta

Zum Abend hin holten wir dann das gut gefüllte Startpaket ab und verputzten eine ordentliche Pizza, bevor ich im Auto nochmal eine Stunde Ruhe genoss. Kurz vor 23 Uhr wurde es dann langsam spannend im Startbereich, es wurden drei Raketen gezündet (in etwa nach dem Motto der Ärzte ,,Soll ick den Knaller zünden?‘‘...), herunter gezählt und schon ging es unter dem tosenden Applaus der Zuschauer auf die Strecke. Erst noch zwei Kilometer durch diesen beschaulichen Ort, um wenigstens ein bisschen warm zu werden und dann medias in res in den ersten Anstieg. Und der hatte es gleich mal richtig in sich. Im Schnitt über 20% steil, immer wieder verblockt und durch das zu diesem Zeitpunkt noch eng gestaffelte Feld, blieb das Tempo konstant hoch. Unfassbar wie hier mancher in ein solches Rennen startet.

Ich selbst kann mich aber einigermaßen kontrollieren und komme nach 90 Minuten am ersten VP an, stärke mich kurz und gehe schnell auf das nun sehr flowige nächste Stück. Überwiegend bergab, auf tollen Pfaden fliegen die Kilometer nur so dahin. Ist es anfangs auch noch etwas neblig, so wird die Nacht bald klar und es öffnen sich einmalige Einblicke in diese nächtliche Bergwelt. Nach einer Weile kann man dann auch die wahnsinnigen Anfeuerungen der Italiener vernehmen und wähnt sich bereits am nächsten VP. Dieser will aber einfach nicht näher kommen. Es braucht tatsächlich noch gut 4 km bis dahin, aber nachdem ich die letzte Rampe durch diese fanatische Menge hinaufgenommen habe, ist mir auch klar warum man den Jubel so früh gehört hatte. Ich bin fast taub, ein pflichtbewusster deutscher Arbeitsschützer, hätte derlei wohl glattweg verboten. Respekt für so viel Begeisterung morgens um 2 Uhr. In der Folge geht es ein bisschen unauffällig auf und ab, um schließlich auf dem brachialen Downhill nach Omegna zu landen, der die erste Schleife von 34 km abschließt. Eigentlich ja meine Stärke, aber das Ding ist derart steil, technisch und verblockt, dass ich im Tal erstmals die Oberschenkel ordentlich glühen.

Auf dem Weg durch das nun schlummernde Omegna, begegnen mir noch zwei Nachteulen. Schwer ausmachen wer angeschlagener ist, aber zumindest laufe ich noch deutlich besser geradeaus. Schnell ist auch diese kurze flache Passage überwunden und es geht über den Casanova Steig in den nächsten harten Anstieg. Ein grob gepflasterter Weg, in dem immer mal wieder die Stöcke hängen bleiben. Kein Wunder das der Läufer vor mir seine Stöcke mehr hinter sich her schleift, als sie zu nutzen. Ich beschleunige kurzerhand, denn dieses unmotivierte dahingeschlürfe kann sich ja keiner lange anschauen.

Nachdem wir wieder deutlich über Omegna ausgespuckt werden, geht es wieder etwas flacher durch zwei verschlafene Orte, immer etwas hinab und wieder etwas mehr hinauf, bevor wir den letzten Teil des Uphills zum Mt. Mazzoccone auf gut 1400 m in Angriff nehmen. Hier wird es langsam etwas härter, aber der Gedanke an den nahenden Morgen gibt mir zumindest mental Kraft und so komme ich nach einem kurzen Downhill zur nächsten VP, wo es eine herrlich Sternchensuppe gibt, dazu etwas Baguette und Schinken. Das geht so gut rein, dass ich für den Rest des Laufes an den VP´s nichts anderes mehr zu mir nehme. Dazwischen hält mich wie immer Tailwind, ergänzt durch ein paar Hammer und GU Roctane Gels auf den Beinen. Auf dem Downhill nach Fornero beginnt es nun zu dämmern. Ähnlich steil wie alles hier, aber grundsätzlich gut zu machen, da der Untergrund angenehm weich ist. In Fornero bei Kilomneter 49 gilt es nochmal alle Speicher aufzufüllen, denn der Weg zu nächsten VP ist mit gut 18 km verflucht lang und beinhaltet die schwersten Anstiege des gesamten Rennens. 

Der Aufstieg zum Mt. Croce gestaltet sich anfangs noch ganz angenehm. Nicht dass es leicht wäre, aber ich habe zumindest das Gefühl bewusst langsam unterwegs zu sein. Mit zunehmender Höhe wird daraus allerdings mehr eine Notwenigkeit und weniger eine vernunftgesteuerte Entscheidung. Der Weg selbst ist traumhaft, immer währende schmale Pfade, die gefühlt selten genutzt werden. Man kommt immer wieder an alten Ruinen vorbei.

Zum Ende hin öffnet sich dann der Bewuchs und die gewaltige Bergwelt tritt in Erscheinung. Auf dem höchsten Gipfel des Rennens auf über 1600 m angekommen, halte ich kurz inne und genieße die ganze Szenerie, schließlich bin ich inzwischen auch schon länger unterwegs. Wer nun denkt man könne es im folgenden Downhill einfach laufen lassen, wird schnell wieder geerdet. Der Trail bleibt recht schwierig und ist zumindest mit schweren Beinen nicht mehr wirklich flüssig laufbar. Gefühlt geht es wieder ewig runter und es sind wohl tatsächlich etwas um die 1000 hm, die man hier wieder verliert. Im unteren Bereich wird der Untergrund zumindest wieder etwas weicher. Dieser Talgrund hat es mir wirklich angetan. Landschaftlich ist es eine Wucht, körperlich bin ich allerdings genauso an einem Tiefpunkt angelangt. Jetzt heißt es auf die Zähne beißen, die Hälfte ist schließlich geschafft und auf dem Berg oben wartet ja auch schon der nächste VP. Es hilft allerdings alles nichts, gefühlt könnten mich hier wohl auch schlendernde Wanderer einholen. Die Akkus und die Beine sind einfach leer und so zieht sich dieser Anstieg unendlich lang. Lediglich die läutenden Kuhglocken lassen ein baldiges Ende erahnen. Nach einer nicht nur gefühlten Ewigkeit schleppe ich mich wirklich bis zum nächsten VP hinauf. Was ist nun zu tun? In jedem Fall etwas rasten und Speicher so gut es geht füllen, vielleicht lässt sich ja so die Grundlage für einen späteren Aufschwung schaffen. Aber da man ja auf diese Weise erstmal nicht voran kommt, wandere ich nach einer halben Stunde erstmal langsam weiter, nehme einen weiteren kleinen Anstieg und staune nicht schlecht, als sich in einiger Ferne die Aussicht auf das Monte-Rosa-Massiv auftut. Dagegen kommt man sich richtig klein vor und die Hügel über die man hier wandelt, verlieren ein bisschen was von ihrer Größe. 

Der Ultratrail Lago d´Orta

Nach ein wenig auf und ab, folgt schließlich ein einfacher Downhill nach Arola. Ich komme tatsächlich wieder etwas ins laufen zurück und freue mich schon auf mein Dropbag, welches ich in der als Life-Base bezeichneten VP nach 75 km sogleich entgegennehme. So langsam fallen mir allerdings die Augen zu, also lasse ich den Kopf auf den Tisch sinken und ziehe einen ordentlichen Powernap ein. Anschließend werden noch die Vorräte ergänzt und nach gut 45 Minuten bin ich wieder auf der Strecke. Ich stelle erfreut fest, dass nun der schwerste und längste Teil hinter mir liegt. Gedanklich trete ich mir nochmal in den Allerwertesten. Ich schüttle alle vorherigen Zweifel ab und bin nun festentschlossen das Ding zu Ende zu bringen.

Das nun leichtere Gelände lässt mich dann auch einen gewissen Rhythmus finden. Dazu nehme ich in dieser Phase mein erstes Espresso Gel zu mir und eine halbe Stunde später schlägt das Koffein voll ein. Die Sinne sind geschärft und es läuft tatsächlich wieder. Die übliche Stärkung am nächsten VP kann ich flott zu mir nehmen, wie auch an den übrigen VP’s bis ins Ziel. Auf dem nächsten Abschnitt kommen wir an einer sehr schön gelegenen Kapelle oberhalb des Sees vorbei. Sicherlich ein beliebtes Ausflugsziel, allerdings konzentriere ich mich lieber auf den tollen Abschnitt bergab, der nun auch wieder richtig Spaß macht und uns am Seeufer wieder rauswirft. Hier kann man nun doch mal ein paar Meter normal laufen. Ein echter Segen mitunter, aber natürlich nicht für lange. Schon geht es wieder auf und ab, wobei das Profil in diesem Teil vorm letzten großen Berg eher an mein vertrautes Geläuf im Hunsrück erinnert. Zumindest vom Profil her, der Charme der Gegend bleibt hingegen typisch italienisch und die Begeisterung der Menschen sowieso. Es gibt kaum jemanden der einen nicht anfeuert oder aufmuntert. Zumal hier alle zu wissen scheinen was wir tun. Sowas kennt man aus Deutschland eher nicht. 

UTLO

Als ich am letzten VP schließlich ankomme, ist die Nacht wieder hereingebrochen. Schade, hatte ich doch eigentlich mit einem Finish im Hellen geliebäugelt, aber das ist jetzt völlig in den Hintergrund getreten. Jetzt gilt es einfach ein starkes Finale hinzulegen. Dazu werfe ich mir nochmal ein Espresso Gel rein, in der Hoffnung den späteren Downhill aufmerksam und schnell laufen zu können. Aber vorerst fliege ich nur so den Berg hinauf und mache einige Plätze gut.

Oben angekommen sind die Sinne tatsächlich im Erdmännchenmodus und die Beine genauso voll am Start. So soll es sein! Der Weg hinab wird nochmal ein einziger Genuss. Die paar Läufer die ich noch einhole, lasse ich einfach stehen, und fliege weiter dem See entgegen, wobei ich es in einem flachen Stück mit dem fliegen etwas zu genau nehme und kurz auf der Nase lande. Kurzer Bodycheck, aber alles im grünen Bereich und so hebe ich die Beine wieder ordentlich und komme bald am Ufer unten heraus. Nun sind nur noch 2 - 3 km bis ins Ziel zu bewältigen. Und ich habe immer noch Kraft. Daher laufe ich voller Energie Richtung Ziel. Irre was hier noch geht und eigentlich schade, dass es schon zu Ende geht. Hätte ich nur eher meine Energie eher wiedergefunden, wer weiß was dann noch passiert wäre. So komme ich schließlich happy nach 22:47 h im Ziel an. 

Materialmäßig habe ich wie schon in Frankreich auf den Hoka OneOne Evo Mafate vertraut. Ein angenehmer Schuh für besonders lange Distanzen, der durch sein grobes Vibram bestücktes Profil nie die Traktion, die man einfach braucht, vermissen lässt.

Am Ende bleibt eine wirklich tolle Erfahrung. Die Organisation war top, die Markierung lückenlos und die Italiener verstehen es immerzu Stimmung zu machen. Übrigens der erste Lauf, bei dem ich gänzlich auf einen Track auf der Uhr verzichtet habe. War einfach nicht notwendig. Die Strecke ist immer spannend und abwechslungsreich, wobei man schon festhalten muss, dass es nach 70 km etwas einfacher wird, auch wenn mancher das mit zunehmender Erschöpfung wohl anders sehen dürfte. Am Ende bleibt eine klare Empfehlung, für jeden der einen denkwürdigen Saisonabschluss sucht!

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