Eventbericht von Paul Ruick:
Brutal. Schön. Mit diesen zwei Worten wäre eigentlich schon alles gesagt! Aber da ich ja auch Allen, die nicht dabei waren, einen Einblick vermitteln will, hole ich doch mal etwas weiter aus.
Es soll um den X-Alpine beim Trail Verbier-St.Bernard gehen. Ein Trail-Klassiker auf 111 km mit harten 8400 hm. So anspruchsvoll die Daten auch klingen mögen, so sagen diese doch nicht allzu viel aus. Denn bei diesem Lauf geht es hoch hinaus auf durch und durch alpinen Pfaden.
Der Start ist flexibel wählbar. Entweder nachts um eins oder drei Stunden später. Ich entschied mich für die spätere Zeit, da ich guter Dinge war das extra Zeitpolster nicht zu benötigen. So stand ich also mit Verena kurz vor 4 im Zentrum von Verbier und lauschte den sanften Klängen von Louis Armstrongs „What a wonderful world“. Eine sehr angenehme ruhige Stimmung, die sich in der Folge leider nicht ganz auf meine körperliche Verfassung übertrug. Denn mit dem Startschuss trabte ich zwar locker los, aber mein Körper war fast augenblicklich auf 180. Der Puls ging quasi sofort durch die Decke und wollte sich nicht recht einfangen lassen.
So ging es die ersten steilen 300 hm hoch, um in die Folge in den ersten flowigen Downhill zur ersten VP runter zu münden. Zu allem Übel knickte ich am Ende auch noch schön mit rechts um. Gute Voraussetzungen um in den längsten Anstieg meiner bisherigen Trail-Karriere zu gehen. Satte 1900 hm waren es bis zum Gipfel des Catogne. Bis zur VP auf halben Wege an einer traumhaften Alpe gelegen auf überwiegend breiten Wegen und in der Folge immer trailiger, rauer und steiler werdenden Pfaden bis zum Gipfel. Zur Belohnung gab es einen ersten atemberaubenden Ausblick, der schnell wieder vergessen war, den was jetzt folgte war der krasseste Downhill, den ich je laufen durfte. Im Grunde ging es erstmal in direkter Falllinie vom Berg runter. Das Gefälle von 1200 hm verteilte sich praktisch auf 3 Kilometer der ganz üblen Sorte. Unterbrochen wurde dieses Höhenmetergemetzel von einem „flachen“ Kilometer. Zum Glück hatte sich der Körper zu diesem Zeitpunkt wieder gefangen und sodass ich diesen Abschnitt voll genießen konnte.
Unten in Champex-Lac sah ich zum ersten Mal Verena und Mario, die mich während das gesamten Laufes immer wieder an den VP in Empfang nahmen. Nach einer kurzen Stärkung ging es direkt weiter Richtung Orny Hütte. Anfangs flacher, später fasst tropisch durch den Wald und oberhalb der Baumgrenze mitunter extrem verblockt immer höher hinaus. Das letzte Stück zur Hütte ist dann hin und zurück zu laufen. Oben angekommen hat man mit ca. 2830m das Dach der Runde erreicht. Da die Verpflegung hier oben eher schmal ausfällt ging es schnell weiter und ab in einen endlosen Downhill von knapp 1600 Tiefenmeter. Hier stellte sich sowas wie ein Flow ein, bis auf einen kurzen Fehltritt, wodurch ich mir einen größeren Grind aus der Vorwoche direkt wieder aufriss und meinen Unterschenkel kurz in rot tauchte. Etwas unangenehm aber im Grunde nicht weiter schlimm, abgesehen von der Optik vielleicht. Unten angekommen, waren es immer noch etwa 8 km bis La Fouly, die trotz leicht ansteigendem Profil schnell dahinflogen.
In La Fouly gab es nochmals eine Möglichkeit groß zu verpflegen und sich auf den Übergang nach Italien einzustellen. Frisch verpflegt und verbunden machte ich mich also auf in den sonnigen Süden. Leider versteckten sich Sonne und blauer Himmel erfolgreich hinter Nebel, Wolken und teils starken Regen. Je höher man kam, desto ungemütlicher wurde es. Die Nässe und Kälte kroch so langsam in die Knochen, wurden aber noch nicht zum Problem. Selbst unter diesen Bedingungen blieb die Landschaft einzigartig. Besonders ab dem Lac de Fenêtre und dem folgenden schneebedeckten Pass offenbarte sich die ganze Urwüchsigkeit dieser Landschaft. In Italien angekommen ging es flott ein paar Meter runter und schnell wieder hoch zum Großen St.Bernard Pass, wo wieder eine wärmende Bouillon wartete.
Von hieraus sollte es eigentlich fix zur nächsten VP in Bourg St.Pierre gehen. Eigentlich. Denn obwohl der nächste kleinere Pass noch ganz gut ging, so wurde es im nächsten Downhill langsam zäh. Das Gelände wurde verhältnismäßig immer laufbarer, aber leider konnte ich davon immer weniger profitieren. Erschwerend kam hinzu, dass ich auf diesem Streckenteil andere Distanzen zwischen den Abschnitten im Kopf hatte. Der Teil entlang des Stausees vor Bourg St.Pierre erschien unter diesen Umständen schier endlos. Sorgen machte ich mich an diesem Punkt allerdings nicht, denn das Tief kam grundsätzlich erwartungsgemäß. Normalerweise hilft da ein kleiner Nap, guter Verpflegung, Tempo raus nehmen und zur Not ein Espresso Gel. So versuchte ich auch in Bourg St.Pierre in aller Ruhe alles nochmals zu richten und mich für die anstehende Nacht fit zu machen. Allerdings wollte das Essen nicht so recht rein und die frische Kleidung verströmte auch nicht die rechte Magie. Aufgeben war allerdings keine Option, da mir ja nichts essentielles fehlte und das Zeitlimit noch ganz weit weg war. So stapfte ich also nach einer knappen Stunde im Schein meines Lichtkegels wieder los und hoffte das Beste.
Leider blieb es für den Rest des Rennens eine Hoffnung. Das nächste Ziel war die Cabane Mille, die ich noch aus dem letzten Jahr vom Swisspeaks kannte. Bis hierhin zog sich die Strecke allerdings ewig, zumal ich zunehmend ausgezehrt war. Besonders das Wärmemanagement wurde immer mehr zum Problem, sodass ich zwischenzeitlich gezwungen war alles anzuziehen was ich dabei hatte. Ein hoch auf die Pflichtausrüstung an dieser Stelle! Sicher auch ein Resultat des zwischenzeitlich besseren Wetters. Ein sternenklarer Himmel bedeutet eben auch immer kalte Nächte. Langsam, kalt und dennoch wunderschön, so kann man diesen Abschnitt zusammenfassen. An der Hütte angekommen, nahm ich mir nochmal die Zeit für ein kurzes Nickerchen. Im Anschluss machte ich mich etwas frischer und hoffnungsvoller in einen schier endlosen Downhill auf.
Der kleine Aufwind war allerdings nur von kurzer Dauer und so verfiel ich schnell wieder in meinen langsamen Trott. Selbst zwei Espresso Gele vermochten es diesmal nicht ihre sonst so phänomenale Wirkung zu entfalten. Bergab wandern zu müssen ist besonders zermürbend, da man ja gerade in diesen Abschnitten schnell vorwärts kommen könnte. War aber nicht. So konnte man sich zumindest in aller Ruhe ausrechnen was man zeitlich noch so grob vor sich hatte. Abgesehen davon das das Zeitlimit immer noch in komfortabler Ferne lag, war daraus nicht viel Motivation zu ziehen. Insofern bleibt in so einer Situation einfach nur einen Schritt vor den anderen zu setzen. An der nächsten VP wartete dann leider auch nicht der erhoffte Gamechanger. Im Gegenteil, bot man mir etwas an das aussah wie Milchreis. Ein Gericht das ich bereits seit Kindertagen konsequent meide. Nun ja also einfach wieder raus und ab in den letzten Anstieg von 1200 hm. Unter Läufern spricht man hier auch gern von „der Wand“. Fünf wirklich sauharte Kilometer. Selbst die fittesten werden hier nochmal ordentlich gekämpft haben. Ich für meinen Teil habe mich hier eher hoch geschlichen. Langsam aber zumindest stetig und im erstarkendem Licht eines neuen Tages wurde Meter um Meter erkämpft. Und das in dem Wissen, dass es oben angekommen nochmal 800 hm nach Verbier runter gehen würde.
Wer so langsam unterwegs ist, hat zumindest reichlich Zeit die Umgebung zu genießen und die zeigte sich an diesem Morgen in gleißenden frischen Licht. So war meine Stimmung zumindest immer besser. Schneller wurde ich trotzdem nicht mehr. Den letzten Läufer hatte ich wahrscheinlich vor 30 km überholt. Seither wurde ich nur noch durchgereicht und so ging ich langsam aber bestimmt in den letzten Abstieg, den ich bis zum Schluss wandernd durchzog. Selbst die nahende Ziellinie vermochte mir keinen Laufschritt mehr zu entlocken. So konnte ich zumindest die ganze positive Stimmung in Verbier voll aufsaugen. Es ist schon toll wenn alle, die einen sehen anfeuern. Vom Ersten bis zum Letzten, das ist hier ganz normal. An der Ziellinie angekommen war ich nicht unzufrieden. Einfach mal durchziehen unter den Bedingungen ist ja auch was und mit einer Zeit von knapp 29:30 h gibt es ja genug Gründe zurückzukommen und es deutlich besser zu machen. Mit diesem Brett bin ich sicher noch nicht durch. Vielleicht muss man auf solchen Strecken auch einfach erstmal Lehrgeld bezahlen. Vielleicht war es aber auch einfach nicht mein Tag, gefühlt hat der Körper nach der Hälfte einfach keine Energie mehr aufgenommen, obwohl ich weiter gegessen und getrunken habe.
Zusammenfassend bleibt mir nur zu sagen, dass es einer der brutalsten aber eben auch einer der schönsten Läufe der letzten Jahre war. Sicher kein Lauf für Anfänger und eben auch einer bei dem man mit vielen Jahren Erfahrung noch scheitern kann.
What a wonderful world!