Innsbruck Alpin Trailrun Festival

 

Eine kleine Geschichte vom Scheitern am Scheitern. 

 

Gastbeitrag von Paul:

Ich sitze in Hall in Tirol in einem einem historischen Gemäuer, die Sonne scheint und alles wuselt am umtriebigen VP um mich herum. Immer wieder kommen Läufer durch den Torbogen herein, versorgen sich und haben aufmunternde Worte für mich übrig. Ehrlich gesagt bin ich ziemlich fertig und möchte am liebsten meine Startnummer abgeben. In mir tobt ein kleiner Kampf, wie eigentlich schon den ganzen Tag. Wie zum Teufel bin ich nur hierhergekommen und was treibt mich nochmal an? Also zurück zum Anfang.

Letztes Jahr um diese Zeit durfte ich bereits beim IATF antreten und versuchte mich auf der Königsdisziplin. Leider mussten damals wetterbedingt Anpassung an der Strecke vorgenommen werden, sodass schließlich gut 15 km und 1200 hm fehlten. Am Ende kam mir das sehr entgegen und ich konnte mein erstes erfolgreiches Ultrafinish im alpinen Umfeld feiern. Damit war das Kapitel IATF für mich erstmal beendet. Irgendwann letzten Winter wurde jedoch in der Facebook-Gruppe Salomon Running Frankfurt ein Freistart verlost und ich hatte Glück bei der Ziehung. Ich bekam den Startplatz und meldete mich wieder für den K85, schließlich hatte ich die originale Strecke noch nicht gesehen. Nicht bedacht hatte ich dabei, dass ich zu diesem Zeitpunkt beruflich nahe der Nordseeküste sein würde. Eine verdammt lange Anreise, aber was tut man nicht alles für seine Leidenschaft?! 

Innsbruck Alpin Trailrun Festival 2018

Die Anreise fiel entsprechend aus und kostete sicher erste Kraftreserven. Zudem ist die Nordseeküste mit ihren marginalen Erhebungen nicht gerade das beste Trainingsgelände für einen solchen Lauf. Kräftiger Gegenwind kommt den nötigen Anstiegen noch am nächsten, ist aber ein sehr dürftiger Ersatz. Am Ende sollte das kein großer Faktor werden, denn die Vorbereitung wurde ohnehin immer wieder von einer hartnäckigen Erkältung unterbrochen. Ich fühlte mich immer wieder fit, wurde aber immer wieder von Rückfällen eingeholt und musste folglich immer wieder mehrere Tage pausieren. Ein Rhythmus oder gar ein sauberer Aufbau war so nicht möglich. Aber hey, was sind schon 85 km, die macht man doch wohl aus der Substanz heraus. Muss ja nicht immer das beste Ergebnis herausspringen, oder?

Zwei Wochen vorher war ich wieder soweit gesund und das Wetter versprach ebenfalls sommerliche Temperaturen und Sonnenschein. Alles bestens also, wenn da nicht die Geschichte mit dem Altschnee wäre. Einige Streckenabschnitte lagen nämlich unterhalb gefährlicher Altschneefelder und so waren die Organisatoren erneut gezwungen, die Strecke zu verändern. Dieses Jahr war man allerdings mit entsprechenden Alternativrouten vorbereitet und konnte zeitgerecht reagieren. Die Distanz blieb also erhalten und im Ergebnis fehlten lediglich ein paar Höhenmeter. Positiver Nebeneffekt: der Start wurde um eine Stunde nach hinten verschoben und wir mussten erst um 5 Uhr los.

So stehe ich also an der Startlinie, um mich herum viele Gleichgesinnte. Der Himmel ist klar und die Nacht wird sich bald verziehen. Alles ist ziemlich ruhig. Jeder ist irgendwie mit sich selbst beschäftigt. Ein rechtes Ziel habe ich zwar nicht, aber irgendwie vertraue ich darauf, dass schon alles gut werden und am Ende trotzdem eine ordentliche Zeit stehen wird. Plötzlich zählen Alle gemeinsam herunter, Bengalos zünden und mein müder Körper setzt sich irgendwie in Bewegung.

Innsbruck Alpin Trailrun Festival 2018

Die ersten zwei Kilometer ziehen sich durch die Innenstadt, eigentlich ein lockeres einrollen, aber mein Puls geht bereits höher als gedacht, obwohl ich die Pace gut kontrolliere. Also noch lockerer in den ersten Anstieg und hoffen, dass ich schon noch ins Rollen kommen werde. Währenddessen dämmert der Morgen und die Berge zeigen ihr wunderschönes morgendliches Antlitz. Im Prinzip ein einziger Genuss, wenn da nicht der schwerfällige Körper die ganze Zeit wäre. Jeder Anstieg treibt den Puls an und die Downhills lassen den gewohnten Flow vermissen. Was ist nur los mit mir? Sicher konnte ich heute keine Wunder erwarten, aber auf ein bisschen Leichtigkeit darf man doch wohl hoffen? Der Kopf ist nicht voll bei der Sache und ganz unvermittelt finde ich mich in voller Länge auf dem Boden wieder. Konzentration auf das Wesentliche hätte wohl geholfen. Zum Glück geht alles halbwegs glimpflich ab, ein kleiner Schlag aufs rechte Knie aber nichts was einen weiter behindern sollte.

Schließlich queren wir zum ersten Mal das Inntal. Die paar flachen Kilometer sollten eigentlich entspannt sein, aber auch hier fühlt sich alles nur schwer an. Im Kopf kommen erste Zweifel auf. Wie soll ich es nur ins Ziel schaffen? Wäre es nicht vernünftig beim nächsten VP einfach auszusteigen? Man könnte den Lauf als Training verbuchen, zumal noch genug Highlights dieses Jahr anstehen. Andererseits bin dafür nicht ewig angereist und so beschließe ich noch mindestens bis zum VP Bierstindl bei Kilometer 53 zu beißen. Noch etwa 30 km, nicht wirklich ein optimales Ziel, um sich den Lauf einzuteilen, aber es taugt trotzdem ganz gut. Anstiege gehe ich zwar überwiegend, aber ansonsten komme ich noch ganz gut voran. Das Panorama herum sorgt außerdem immer wieder für etwas Ablenkung von der Qual des Laufes, wenn auch nicht lange. Bei Kilometer 30 läuft es sogar mal ganz gut und ich denke an andere Läufe, bei denen ich später auch noch richtig gut reingekommen bin. Leider sollte es heute bei einem kleinen Strohfeuer bleiben und so kämpfe ich mich weiter entlang einer Bahnstrecke und befasse mich mit der Frage ob ich nicht einfach zurück in die Stadt fahren soll. Allerdings war da ja noch mein Zwischenziel und auf dem Weg dahin lagen noch eine paar super Trails. Diese verlaufen tendenziell bergab Richtung Innsbruck und sind eines der Highlights der Strecke. Ich reiße mich also zusammen und finde zum letzen Mal so etwas wie einen Laufrythmus. Die Silschlucht ist dabei ein wahrer Genuss. Zwischendurch verhandle ich hart mit mir selbst. Einerseits bin ich ziemlich erschöpft und fertig, komme aber noch konstant voran. Die Beine sind schwer, eine Besserung ist im Grunde nicht mehr zu erwarten. Die Anreise, die Vorbereitung, die suboptimale Ernährung der letzten zwei Tage und so weiter, eigentlich alles Rechtfertigungen um aufzuhören. Andererseits wozu sowas machen, wenn man nicht bereit ist durch diese Täler zu gehen. In Zukunft will ich ja noch ein paar verrückte Sachen machen und da werden mich sicher noch einige Tiefpunkte erwarten. Schließlich komme ich zu dem Schluss, dass ich noch nicht bereit bin aufzugeben und die Chance zu nutzen, um meine mentale Stärke zu trainieren. Am VP mache ich also kurz Rast, fülle meine Vorräte am Dropbag auf, gebe Verena einen Kuss und laufe weiter.

Innsbruck Alpin Trailrun Festival 2018

Einfacher wird der Lauf in der Folge nicht, aber ich komme stetig ein paar Meter voran. Flachere Teile laufe ich immer wieder, so auch einen kleinen unspektakulären Trail zwischen ein paar Häusern. Und plötzlich bleibe ich wieder an einem Stein hängen und da meine Reflexe nicht mehr die besten sind, lege ich eine super Bauchlandung hin. Dabei haue ich mir herrlich das rechte Knie an und bleibe wie ein Fußballer in der 80 Minute sterbend auf dem Trail liegen. Jetzt reicht es langsam mit den Tiefschlägen, aber ich rapple mich nach einer knappen Minute wieder auf und gehe erstmal langsam weiter. Das Knie schmerzt etwas, aber ich komme immer noch weiter. Zu meinem allgemeinen Zustand kommt jetzt also noch ein kleiner Schmerz am Knie dazu, was soll’s. Blöd daran ist nur das ich nun auch erhebliche Probleme bergab bekomme, die sich langsam verschlimmern.

So langsam sinkt das Spaßlevel auf den Gefrierpunkt und das obwohl die Temperaturen so langsam einem Maximum entgegenstreben. Eine sonnige Bank vor dem längeren Downhill nach Hall kommt also mehr als gelegen und ich gönne mir eine kleine, aber notwendige Pause. Vielleicht lassen sich so ja nochmal Kräfte sammeln, denn der nächste Abschnitt sieht sehr vielversprechend aus. Tja der Downhill hält was er verspricht, der Rest ist trotzdem zum Vergessen, also sage ich mir, irgendwie nach Hall zum VP kommen und dort erstmal setzen. Oder besser auf der Hintern fallen lassen, womit wir wieder am Anfang des Textes wären. Was kann einen jetzt noch motivieren? Ein DNF wäre jetzt wohl ausreichend gerechtfertigt, zumal mir auch die Betreuer am VP immer wieder dazu raten. Andererseits ist der Cutoff noch weit und selbst wenn ich langsam ins Ziel wandere, komme ich Stunden vor Zielschluss an. Irgendetwas in mir scheint noch nicht zum Aufgeben bereit zu sein, auch wenn ich nicht sicher bin, was das ist. Wenn ich jetzt nach 20-30 Minuten tatsächlich nochmal hochkäme, würde ich es wirklich nochmal versuchen und so gebe ich mir Mühe und nehme diese erste Herausforderung auf dem Weg zum Ziel erfolgreich an. Ich ziehe also angeschlagen weiter, denke noch zwei, dreimal darüber nach zum VP zurückzukehren und gebe wohl ein jämmerliches Bild im ansonsten sehr schicken Stadtbild von Hall ab. 

Innsbruck Alpin Trailrun Festival 2018

Meine Gedanken sind derweil auf der Suche nach positiven und aufmunternden Gedanken. Schwieriges Unterfangen, aber zumindest fallen mir ein Zitat von Scott Jurek („Sometimes you just do things!“) und eine halbwegs brauchbare Phrase („Manchmal muss man eben Dreck fressen“) ein. Nicht sonderlich aufbauend, aber es taugt zur Ablenkung. Selbst ein behäbiges laufen ist so zwischendurch immer mal wieder drin. Aufkommender Gegenwind lässt mich allerdings meistens ins Wandern zurückfallen und die häufigen Anstiege bremsen mich zusätzlich, aber zumindest wird die Hitze auf diese Weise ganz gut gemildert.

Am nächsten VP setze ich mich wieder kurz und genieße eine schmackhafte Suppe. Tolles Sache so zwischendurch. Anschließend wird weiter gemacht, irgendwie trägt mich ja auch noch die Hoffnung, dass die Strecke ja vielleicht doch etwas kürzer ausfallen könnte und vom letzten Jahr habe ich den abschließenden Teil als wenig fordernd in Erinnerung. Puh, wie man sich da täuschen kann. Am letzen VP wird mir die knallharte Wahrheit bewusst, nichts mit kürzer. Zum Glück bin ich aber schon zu weit gekommen, um jetzt auszusteigen, auch wenn die Versuchung nochmal stark ist. Ein letzter Anstieg von 10 Minuten sei noch zu bewältigen, sagt man mir und ich gehe halbwegs entschlossen weiter. Es werden 30 Minuten. Stöcke habe ich nicht dabei. Wie doof kann man eigentlich sein? Leki Werbung in den steilen Rampen lassen mich innerlich auf mich selbst fluchen. Das ich permanent überholt werde von allen möglichen Läufern brauche ich wohl kaum erwähnen. Kann man sich ja fast denken.

Oben angekommen an der Enzianhütte wartet dann ein top Downhill auf uns. Technisch, steil und einfach nur einladend. Eigentlich genau Meins, wenn da nicht die Sache mit dem Knie wäre. Und so bleibt mir nichts anderes übrig als hinunter zu humpeln und immer wieder den anderen Platz zu machen. So wie man das halt unter Trailläufern macht. Zwischendrin ziehe ich mein Buff noch durch kaltes Wasser und hänge es mir übers Knie. Hätte man auch eher drauf kommen können. Bewirkt zwar keine Wunder, aber ein bisschen besser wird es dennoch, denn die letzen zwei, drei Kilometer, die sanft ins Ziel abfallen, kann ich sogar wieder locker laufen. Ein kleiner Umweg vorm Ziel kommt dann auch noch dazu, macht aber die Sache am Ende nicht wirklich schlimmer. Schließlich bin ich tatsächlich auf der Zielgeraden und laufe unter dem verdienten Applaus der Zuschauer ein. Ein ziemlich emotionaler Moment nach den ganzen Quälereien. Im Ziel sind alle erleichtert mich zu sehen, hat ja schließlich etwas länger gedauert diesmal. 12 Stunden und 16 Minuten insgesamt um genau zu sein. Und so werde ich mit den Worten begrüßt:„Wir haben die wildesten Geschichten von dir gehört.“, worauf ich nur sage:„Sind alle wahr!“

Innsbruck Alpin Trailrun Festival 2018